Zur Eröffnung der Österreich-Bibliothek am Österreichischen St. Georgs-Kolleg in Istanbul am 10. Mai 2007

 

Im engsten, etymologischen Sinne bezeichnet das Wort „Bibliothek“ einen Aufbewahrungsort von Büchern: abgeleitet von den griechischen Wörtern „biblos“ – das Buch – und „theke“ – das Behältnis.

Ein Aufbewahrungsort von Büchern also, doch zu welchem Zweck?

 

Diese Frage, deren Antwort eigentlich einem jeden von uns geläufig sein und angesichts einer Bibliothek gar nicht gestellt werden sollte, stellte ich mir jedoch immer wieder, als ich in den vergangenen Jahren des Öfteren die Bibliothek des Österreichischen Kulturforums im  „fernen“ Palais Yeniköy auf beruflicher Informationssuche oder auch nur zur persönlichen Erbauung konsultierte und dabei zu meinem immer größer werdenden Bedauern feststellte, mehr oder weniger die Einzige zu sein, die dem darin aufbewahrten Bücherschatz die ihm gebührende Aufmerksamkeit schenkte.

 

Naturgemäß könnte man als ausgewiesen bibliophile Leseratte der Auffassung sein, dass damit gewissermaßen – wenn auch nur in homöopathischen Dosen gemessen – der Zweckbestimmung einer Büchersammlung an ihrem Aufbewahrungsort Genüge getan wurde, doch dauerte mich in zunehmenden Maße das ungenutzte Potential an Druckwerken, die ihrer Bestimmung nach doch zum Zwecke öffentlicher Benutzung erworben, gesammelt, geordnet aufgestellt und zugänglich gemacht wurden.

 

An Bestand und Inhalt konnte es nicht gelegen haben: Nach Themenschwerpunkten geordnet reihten sich Werke zur österreichischen Landeskunde und Kultur, Geschichte, Kunst, Musik und Wissenschaft, flanierten in alphabetischer Ordnung Dichter und Literaten in den Regalen, versammelten sich Biographien, Anthologien und Lexika und hielten so in ihrer Gesamtheit eine Flut an Informationen zu Österreich abrufbar bereit, jenem Land, dessen Kultur zu vermitteln uns Anliegen und Aufgabe ist.

 

So mussten vielmehr Zugänglichkeit oder auch Erreichbarkeit dieser Bibliothek der Grund dafür gewesen sein, dass ihr nur stiefmütterliche Beachtung zuteil wurde und so reifte in mir der Entschluß, dafür Sorge zu tragen, dass – so nicht der Leser zum Buch kommt, das Buch zum Leser kommen müsse.

 

Dieser Gedanke erwies sich sehr bald als allgemein durchaus nachvollziehbar und stieß in Folge auf offene Ohren und tatkräftige Unterstützung: In der kulturpolitischen Sektion des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten in Wien und hier in Istanbul am Österreichischen St. Georgs-Kolleg, wo für die Bibliothek ein neuer Aufstellungsort gefunden werden konnte.

 

Inhaltlich erweitert, aktualisiert und durch zahlreiche Neuanschaffungen bereichert, erfuhr der nahezu in Vergessenheit geratene Bücherbestand des Kulturforums Istanbul eine unerwartete Neubelebung und kann somit heute als 52. Österreich-Bibliothek des Österreichischen Außenministeriums feierlich eröffnet und seiner Neubestimmung übergeben werden.

 

Im Herzen der Stadt gelegen, verbindet das Österreichische St. Georgs-Kolleg 125-jährige Kultur- und Bildungspräsenz Österreichs in Istanbul mit einem Netzwerk tausender Absolventen, einem ständig wachsenden und wechselnden Leserpotential an Schülern, Studenten, Lehrern und Deutsch sprechenden Bewohnern dieser Stadt – es stellt somit einen idealen und viel besuchten Ort der Begegnung dar – ist Brückenkopf und Brücke zugleich.

 

An dieser Stelle möchte ich nun die Gelegenheit wahrnehmen, allen an der Wiederbelebung und Neugründung dieser Bibliothek Beteiligten sehr herzlich zu danken – zu danken im Namen des Österreichischen Kulturforums Istanbul und auch im Namen sich fast vergessen gewähnter Bücher, die hier Gesellschaft und ein neues Zuhause gefunden haben.

 

Drei aus der Vielzahl ihrer Verfasser werden im Anschluß zu Wort kommen: In seinem Tagebuch Franz Grillparzer, als Besucher Konstantinopels im Jahre 1843 aus Wien über die Donau und das Schwarze Meer angereist; der Wahl-Istanbuler Robert Gratzer, gleichsam als „blinder Passagier“ und Chronist des österreichischen Admiralsschiffes „Custoza“ in seinem historischen Roman „Lorbeerreiser“ und Barbara Frischmuth, deren literarisches Werk von jeher in den Dialog mit den uns hier umgebenden und wohl auch verbindenden Kulturen trat.

 

Danken möchte ich auch all jenen, die zur künstlerischen Gestaltung dieses kleinen Festaktes beitragen: Der Ballett-Truppe des St. Georgs-Kollegs und den Mitgliedern des BORUSAN-Ensembles als musikalischen Botschaftern, Hansjörg Kurz, der bei der  Suche nach den literarischen Texten genannter Autoren behilflich war und Christoph Nechvatal, der diesen seine Stimme leihen wird.

 

Stellvertretend für alle sichtbaren und unsichtbaren Geburtshelfer möchte ich mich abschließend auch ganz besonders bei der Bibliothekarin des St. Georgs-Kollegs, bei Schwester Petra bedanken: Mit großer Geduld, Umsicht und Gewissenhaftigkeit ist es ihr gelungen, aus einem Aufbewahrungsort für Bücher wieder eine Bibliothek zu machen und ich bin zutiefst überzeugt, dass SIE sich hier in St. Georg keine Gedanken über deren Sinnhaftigkeit, deren Zweck wird machen müssen.

 

Dr.  Ulrike Outschar

Direktorin des Österreichischen Kulturforums Istanbul