Ein Leben für Sankt Georg: Hofrat Ernest Raidl CM (1983)

Es ist fast gleichgültig, wohin man Herrn Raidl begleitet: noch Ankara, nach Wien, nach Frankfurt oder an irgendeinen Badestrand im Süden der Türkei. Fast unausweichlich kommt ein Herr oder eine Dame auf ihn zu und begrüßt ihn erfreut:
Grüß Gott, Herr Superior! Wie geht es Ihnen? Und Herr Raidl stellt vor: Ein Absolvent von 1956, er war einer meiner Schüler, jetzt ist er Architekt oder Wirtschaftstreibender oder Universitätslehrer oder... Viele sind es, für die der Begriff Superior untrennbar mit einem bestimmten Gesicht, dem des Herrn Raidl, verbunden ist.
Sankt Georg und Ernest Raidl gehören zusammen, und das seit drei Jahrzehnten, und was St. Georg heute ist, wäre nicht denkbar ohne den unzerstörbaren Elan, mit dem Herr Raidl zu diesem Werk gestanden ist.

Als er die Verantwortung für dieses Werk im Jahre 1951 übernahm, war es noch schwer angeschlagen von der schweren wirtschaftlichen Not der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und der Schließung 1944-1947. Manche Stimmen gab es, die meinten, dass ein erneuter Aufbau weit über die Kraft der Lazaristengemeinschaft hinausgehe. Andere wieder konnten nicht begreifen, warum ein Priester unbedingt ein Erziehungewerk für Menschen eines anderen Volkes, einer anderen Religion aufbauen wollte. Für Menschen mit engem Blickwinkel war seine Sicht zu weit, und manche haben ihn mit dem Prädikat eines „Turkophilen” abtun wollen, was ihm freilich immer ein Ehrenname war.

Seine Gedanken von gegenseitigem Verstehen und Näherkommen von Völkern und Religionen sind manchmal erst dann begriffen worden, wenn man plötzlich durch die Vernachlässigung dieser Bemühungen vor kaum zu bewältigenden Problemen stand.
St. Georg hat einen Mann mit einer solchen brennenden Überzeugung von der Sinnhaftigkeit und Bedeutung dieser Arbeit gebraucht, um den Aufbau zum heutigen Stand zu bewältigen.
Er konnte die österreichische Unterrichtsbehörde zu einer immer stärkeren Unterstützung dieses Werkes bewegen, nicht durch Klagen und Lamentieren, sondern durch qualitätvolle und gute Arbeit und so wurden aus den 9 österreichischen Lehrern des Jahres 1951 44 österreichische Subventionslehrer im Jubiläumsjahr.

Das ganze Unterrichtswesen befand und befindet sich in einer Zeit, in der neue technische HiIfsmittel immer wesentlichere Funktionen erfüllen: Modernste Physik-und Chemiesammlungen, Sprachlabor, AV-Raum, Computer für die HAK und vieles andere wurde unter der Leitung Herrn Raidls für die Schule in Betrieb gesetzt.
Und so stieg auch der Ruf der Schule - und Herr Superior Raidl kann heute stolz und mit Recht sagen, dass seine Schule zu den besten Schulen Istanbuls gehört.
Die österreichische Heimat hat dies auch offiziell anerkannt. Neben manchen anderen Ehrungen wurde Herr Superior Raidl vom österreichischen Bundespräsidenten zum Hofrat ernannt - eine Auszeichnung, die ihn besonders deshalb gefreut hat, weil darin auch eine Anerkennung seines Werkes ausgesprochen wurde. Voll Freude hat er auch im Jubiläumsjahr die vielen Zeichen der Wertschätzung und Verbundenheit aufgenommen, die ihm zeigen, dass diesem Werk auch weitere Zukunft gegeben sein wird.

Herr Hofrat Raidl, Superior und Direktor des St. Georgskollegs, tritt nun in den Ruhestand - aber Herr Raidl bleibt in St. Georg, er wird seine Kräfte weiterhin in den Dienst dieses Werkes stellen, solange ihm dies möglich ist. Vielleicht ist gerade dies für die Zukunft ein sehr wichtiges Zeichen, das uns andere darauf aufmerksam macht, dass wir zu allererst einen Dienst leisten sollen. Wenn wir dies noch lange Zeit gemeinsam mit Herrn Raidl tun können, wird uns dies eine große Freude sein.
Vielleicht dürfen wir aus diesem Anlass ein Wort der österreichischen Dichterin Christine Busta, das sie Herrn Raidl vor Jahren ins Gästebuch geschrieben hat, als unseren Wunsch aussprechen:
“Du Dunkler, der uns alle kennt;
lösch aus den Schmerz, nimm fort, was trennt!
Zukomme uns im Schlaf Dein Reich;
dort mach uns wieder gut und gleich!
(aus dem Regenbaum)
Pater Superior Raidl als Motto fürs Abendwerden nach mühseligen Tagen und in Dankbarkeit”
Franz Kangler CM