Vom Osmanischen Reich in die Türkische Republik

Geschichte einer Schule

Den Namen erhielt unser Werk von der Georgs-Kirche, die es vermutlich schon im vorigen Jahrtausend gab und deren erste uns bekannte urkundliche Erwähnung aus dem Jahre 1303 stammt. Im Jahre 1882 wurde diese Kirche als Mittelpunkt eines deutschsprachigen Werkes erworben. Es entstand eine Schule für katholische deutschsprachige Kinder, in die auch Kinder ärmerer Familien aufgenommen werden sollten. Ein damals bereits bestehendes Waisenhaus sollte in diese Schule integriert werden. Ein deutscher Lazarist, Herr Conrad Stroever, unterzeichnete im November 1882 den Kaufvertrag für St. Georg. Im Jahre 1889 wurde dann St. Georg von den österreichischen Lazaristen und Barmherzigen Schwestern übernommen, die es bis heute weiterführen.

Die Schwestern sind neben der Schule auch in einem Krankenhaus tätig, das als Sen Jorj Hastanesi vor allem bei der ärmeren Bevölkerungsschicht von Istanbul bekannt ist. Breite Hilfen aus Österreich haben in den letzten beiden Jahren eine Renovierung und Modernisierung ermöglicht, die eine gute Basis für zukünftiges Wirken gibt.

 

Im Schulbereich war zunächst einfach an eine Volksschule gedacht. Das Schulsystem war damals aber noch sehr wenig ausgebaut, und deshalb sandten auch Angehörige anderer Nationalitäten und die hier ansässigen Minderheiten sowie vereinzelt auch türkische Familien ihre Kinder hierher. So kamen immer weitere Schulstufen hinzu, bis im Jahre 1913 der erste Schüler die Reifeprüfung ablegen konnte.

Im Jahr 1914 hatten die österreichischen Stellen wegen der besonderen Bedeutung dieser Institution einen völligen Neubau beschlossen. Doch leider reichte es nur mehr dazu, einen Teil der alten Gebäude abzureißen, dann brach der erste Weltkrieg aus. Man musste teilweise provisorisch in gemieteten Räumen der Nachbarschaft unterrichten, da auch der Zustrom von Schülern ganz gewaltig zunahm - es waren ja alle französischen Schulen wegen der Kriegsereignisse geschlossen worden.

1918 freilich folgte der Zusammenbruch der Mittelmächte und das Ende Österreich-Ungarns. Während andere österreichische Institutionen in Istanbul geschlossen wurden, bemühte man sich in St. Georg, das Werk weiterzuführen, und die französischen Lazaristen von St. Benoit gaben zunächst auch ihre Hilfe dafür, dass dies ohne großes Aufsehen geschehen konnte. Allerdings war dies nicht lange möglich.

Im Februar 1919 schrieb der französische Stadtkommandant an den Oberen von St. Benoit, es sei ein Skandal, dass in dieser Stadt noch immer in einer Institution in deutscher Sprache unterrichtet werde. So wurden die österreichischen Mitarbeiter von St. Georg Ende Februar durch die französische Besatzungsmacht aus der Türkei ausgewiesen. Erst nach dem Sieg der Truppen Kemal Atatürks konnte die österreichische Schule erneut geöffnet werden.

Freilich war es für die österreichischen Lazaristen und Barmherzigen Schwestern sehr schwer, in dieser neuen Situation der Türkei, aber auch ihrer eigenen Heimat, das Werk weiterzuführen. Es gab zahlreiche Stimmen, die der Meinung waren, man möge dieses Schulwerk beenden, da doch die zahlreichen deutschsprachigen Familien in der Türkei nicht mehr zu finden seien. Österreich selbst konnte außer guten Ratschlägen keinerlei Hilfe geben. Diese ersten zehn Jahre nach dem Krieg verlangten von den damaligen Verantwortlichen einen großen Optimismus und auch eine starke Liebe zur Tätigkeit in diesem Land, da die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nahezu unüberwindlich schienen. Viele ausländische Institutionen, die sich der Vergangenheit verbunden fühlten, schlossen ihre Werke, und nur wenige waren es, die sich voll der neuen Zielsetzung der Republik Kemal Atatürks öffneten.

Eine von ihnen war die österreichische Schule.

 

So gelang es schrittweise, wieder ein geordnetes Schulwesen aufzubauen, und es kamen auch wieder junge Mitarbeiter aus Österreich.

Doch dann wurden wir 1938 durch den Einmarsch Hitlers in Österreich über Nacht plötzlich zum deutschen St. Georgs-Kolleg. Als 1944 die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei abgebrochen wurden, kam es zur zweiten Schließung der Schule. Der Druck von Seiten der nationalsozialistischen Vertreter ging dahin, diesen Abbruch total durchzuführen und ins Deutsche Reich zurückzukehren. Die Mitarbeiter von St. Georg nahmen aber das türkische Angebot an und gingen für eineinhalb Jahre in die Internierung nach Zentralanatolien. Die Lazaristen und Barmherzigen Schwestern von St. Georg lebten eineinhalb Jahre in Yozgat, Kırşehir und Çorum. Nach Kriegsende musste man wieder um die Neueröffnung verhandeln. Da es ja keine Kriegserklärung gegen Österreich gegeben hatte, konnten diese Probleme innerhalb eines Jahres gelöst werden.

So konnte auch nach dem Krieg bereits 1947 die Schule ihre Tätigkeit wieder aufnehmen.

Ebenso wie 30 Jahre zuvor, bemühten sich die Verantwortlichen von St. Georg, das Interesse der österreichischen Unterrichtsbehörde für die Arbeit in der Türkei erneut zu gewinnen, und im Lauf der folgenden zwei Jahrzehnte entwickelte sich die Schule wiederum ganz gezielt zur Österreichischen Schule in Istanbul, an der 45 österreichische Subventionslehrer unterrichten.

Die gegenwärtige Auseinandersetzung um den laizistisch oder stärker islamisch geprägten Charakter des Landes findet sehr stark im Bereich des Erziehungswesens statt.

Durch eine grundsätzliche Reform des türkischen Schulwesens im Jahre 1998 wurde die Grundschule von fünf auf acht Jahre erweitert. Mittelstufen (Schulstufe 6-8), die bisher Oberstufenschulen angeschlossen waren, sind seither an Grundschulen anzubinden. Diese Reform war an sich nicht auf Schulen wie die unsere ausgerichtet, die Ergebnisse werden aber auch für die fremdsprachigen Schulen spürbar, denen vom türkischen Recht die Führung einer Grundschule nicht zugestanden wird.

Durch die Einführung der 8-jährigen ununterbrochenen türkischen Grundschule wurde die Unterstufe des St. Georgs-Kollegs wie die aller anderen ausländischen Schulen geschlossen. Deshalb wird auch an unserer Schule keine Vorbereitungsklasse für 11-jährige mehr angeboten. An ihrer Stelle trat eine Vorbereitungsklasse für 14-jährige. Natürlich bringt das viele Fragen mit sich.

 

In intensiver Zusammenarbeit mit der vor einigen Jahren gegründeten Absolventen- Stiftung wurde aber auch eine unabhängige türkische Grundschule dieser Stiftung sehr kurzfristig auf die Beine gestellt.

Die Schule hat im September 1999 mit einer Vorschulklasse und den Klassen 1 - 5 (also mit 5 bis 11-jährigen Schülern) begonnen. Der Deutsch-Unterricht ist bewusst österreichisch geprägt. Eine Subventionslehrerin von St. Georg unterstützt den Aufbau des Fachbereiches Deutsch. Die Stiftung hat einen österreichischen Pädagogen als Gesamtverantwortlichen engagiert. Der deutschsprachige Unterricht wird von österreichischen und deutschen Ortskräften getragen.

Trotz vieler intensiver Verhandlungen war es aber nicht möglich, in Ankara eine bevorzugte Aufnahme für Schüler mit Deutschkenntnissen nach St. Georg genehmigt zu bekommen. Die zentrale Aufnahmsprüfung an fremdsprachigen Schulen erfolgt ohne Berücksichtigung von Sprachkenntnissen ausschließlich auf Türkisch. Die meisten Schüler haben die Aufnahmsprüfung für fremdsprachige Schulen bestanden. Für eine kleine Gruppe hat sich die Stiftung entschlossen, eine eigene Oberstufe zu gründen.

 

Der Schulerhalter von St. Georg ist bei allen offenen und zu lösenden Fragen aber weiterhin überzeugt, dass auch unter den gegebenen Umständen mit einer engagierten Lehrerschaft diese Umschichtungen im türkischen Schulwesen so bewältigt werden können, dass unser Österreichisches St. Georgs-Kolleg eine Institution bleibt, die eine gute völkerverbindende Aufgabe durchführen kann.

So kann man für St. Georg auch im 120. Jahr des Bestehens das Bild der Brücke aufgreifen, das Österreich für seine Sonderpostmarke zum 100-jährigen Bestand des Kollegs im Jahr 1982 gewählt hat.

Eine Brücke soll wirklich von beiden Richtungen begangen werden, damit sie ihrem Zweck dient. Das soll im Georgs-Kolleg, so hoffen wir, auch in Zukunft geschehen, damit St. Georg eine Begegnungsstätte zwischen Österreichern und Türken, zwischen Muslimen und Christen bleibt.

 

Das wurde auch von offizieller Seite knapp vor der Feier des 125jährigen Bestehens festgestellt. Die Außenministerien der Türkei und Österreichs unterzeichneten im Juni 2005 eine Vereinbarung, in der sie erklären:  „Das St. Georgs-Kolleg ist eines der bemerkenswertesten Beispiele der österreichisch-türkischen Zusammenarbeit und wird von beiden Seiten als Brücke zwischen unseren Völkern betrachtet. Beide Seiten werden jede mögliche Anstrengung unternehmen, um den reibungslosen Ablauf des österreichischen St. Georgs-Kollegs Istanbul als private ausländische höhere Schule zu gewährleisten.“

 

FRANZ KANGLER CM

 

(06.03.2008)