Erinnerungen an Orhan Peker (von Cornelius Bischof)

| 26.11.2004 | Kategorie: Kultur, Absolventen, Publikationen

über seinen Freund

Ich erinnere mich immer wieder an seinen Todestag im Mai 1978. Wir beiden St. Georgianer waren Freunde seit unserer Schulzeit. Eine Freundschaft, die sich bis an sein Lebensende durchhielt und noch heute in meinen Alltag hineinwirkt.

Orhan, ein Jahr älter als ich, wurde 1927 in Trabzon am Schwarzen Meer geboren. Die Menschen dieser fruchtbaren und klimatisch milden Küste haben den Humor und die freundliche Aufgeschlossenheit der Fischer und Seefahrer des Südens. Ihre Folklore ist den Balkanharmonien näher als den schwermütigen Liedern der Menschen im kargen Hochland von Anatolien jenseits der Pontischen Berge. Hier setzt sich die Kulturlandschaft  und Lebensweise des Balkan und Marmaragebietes fort und ist in vielen Zügen europäisch.

Unsere Freundschaft begann im damaligen Internat des Österreichischen St. Georgs-Kollegs von Istanbul. “Da ist kürzlich ein neuer Türke gekommen”, heißt es in meinem Tagebuch im Dezember 1942. „Er heißt Orhan. Ist ein feiner Kerl. Kann gut zeichnen, und was mir am meisten gefällt, er hat ein musikalisches Gehör. Ich pfeife ein Lied und meinem Freund gefällt es auch. Wir machen jeden Abend ein Jazzkonzert”.

Unserem Internatsleiter, Herrn Graf, müssen Orhans Zeichnungen auch aufgefallen sein, er ließ für ihn im Krankenzimmer eine Staffelei aufstellen, und während wir in Hof und Halle spielten und keilten, saß Orhan in seinem ersten "Atelier" und  malte mit Ölfarben unter der Anleitung eines alten Weißrussen, den die Wirren der Oktoberrevolution einst nach Istanbul verschlagen hatten.

Orhan besuchte die Akademie der Schönen Künste in Istanbul, als ich dort mein Jura-Studium begann. Durch ihn lernte ich die künstlerischen Kreise der Türkei kennen. Er wurde einer der profiliertesten Maler der "Gruppe der 10", die den Versuch unternahm, eine Synthese zwischen traditioneller türkischer Malerei und moderner europäischer Maltechnik herzustellen. Hatte ihr Lehrer, Altmeister Bedri Rahmi, auch noch klassische türkische Ornamentik verarbeitet, gingen seine Schüler mit ihrer Staffelei zum Ursprung dieser Volkskunst: In die Steppe, auf die Dörfer, nach Anatolien. Und immer wieder nach Paris, wo türkische Maler ihre Ateliers und ihren Rang in der Kunstszenerie hatten.

Nicht eine der Gefahr des Eklektizismus und schließlichen Bewegungslosigkeit unterliegende Synthese orientalisch-europäischer Malerei, sondern die eigene reale Umwelt mit den internationalen Standards theoretischen Wissens und handwerklichen Könnens künstlerisch zu gestalten, war Orhans Anliegen. Von seiner ersten Alleinausstellung im Jahre 1953 in Istanbul, weiteren in Ankara und Izmir, denen ein erfolgreicher Lehrgang bei Oskar Kokoschka in Salzburg folgte, bis hin zu Ausstellungen in München, Madrid, Budapest, Tokio, Brüssel, Helsinki und Teheran, zieht sich diese Perspektive wie ein roter Faden durch seine Zeichnungen, Aquarelle, Litographien und Ölgemälde.

1965 Erster Preis der 26. Staatlichen Ausstellung für Malerei und Skulptur, Maler des Jahres, Erster Preis für die Gestaltung des Türkischen Pavillons auf der Expo 1970 in Osaka – auch dort trafen wir uns -, Arbeiten an öffentlichen Gebäuden und schon zu Lebzeiten seine Bilder in der Nationalgalerie der Schönen Künste, Istanbul, und somit in der Kunstgeschichte seines Landes.

 Als Orhan an den Illustrationen für die deutsche Fassung des preisgekrönten Romans von Çetin Öner "Gülibik, der Hahn" arbeitete, schrieb er mir in einem seiner später vom Yapı Kredi Verlag unter dem Titel "Cornelius'a Mektuplar" veröffentlichten Briefe: "Wenn ich mir vorstelle, dass ich an den Illustrationen eines Buches arbeite, das vielleicht einmal von Tausenden Kindern gelesen wird, freue ich mich unbändig."

Ich habe ihm 1977 das von mir ins Deutsche übersetzte und mit seinen Illustrationen geschmückte Buch geschickt, und ich erinnere mich noch, dass mir sein drauf folgender Brief das Wasser in die Augen getrieben hatte.

In einem seiner letzten Briefe schreibt er: "Ein Erlebnis vor Jahren werde ich nicht vergessen. Es war in einem anatolischen Dorf, nahe Kastamonu, da begegnete uns eine greise Bäuerin. Auf die scherzhafte Frage einiger Dörfler: 'He, Mütterchen, du lebst noch?', richtete sie sich stolz auf und rief: 'Nur nicht so hastig, ihr seht doch, wie voll die Straßen noch sind!'. Meinen abgewandelten Spruch dieser Frau kennst Du: 'Nur nicht so schnell, da stehen noch Bilder auf der Staffelei!'

Mein bester Freund hat sie nicht mehr malen können.

Cornelius Bischoff